(Ein Review von Carsten Henkelmann)
"Amarcord" bedeutet soviel wie "ich erinnere mich". Dem Titel angelehnt bietet dieser Film daher auch keine strenge lineare Handlung, sondern beleuchtet vielmehr kleine Episoden und Schicksale innerhalb eines Jahres in einer italienischen Kleinstadt in den 30er Jahren. Zentraler Charakter ist der junge Titta (Bruno Zanin), der sich in der Phase zwischen Lausbub und erwachsener Mann befindet und einerseits mit seinen Freunden dumme Streiche ausheckt, auf der anderen Seite bereits für Frauen zu schwärmen beginnt. Dabei werden im Laufe der Handlung unzählige, teils exzentrische Charaktere aus der Stadt vorgestellt. Da wäre zunächst seine Familie, die aus einem cholerischen Vater, einer hysterischen Mutter, einem immer noch Frauen angrabschenden Opa sowie seinem geistig behinderten Onkel und seinem Bruder besteht. In der Stadt selber gibt es die nymphomane Prostituierte Volpina, den Verrückten Kleinkramverkäufer, den elegant-schleimigen Kinobesitzer, den herzallerliebsten Bürgermeister, die hübsche Gradisca nach der sich alle Männer, jung wie alt, umdrehen oder die voluminös ausgestattete Tabakverkäuferin.
Alle diese Personen und einige mehr werden zu einem Flickenteppich der Erinnerungen zusammengewoben. Man erlebt wie Tittas Vater von den italienischen Faschisten verhaftet und geqüält wird, wie seine Mutter ins Krankenhaus muss und schließlich stirbt, der Ausflug aufs Land mit seinem Onkel, der irgendwann auf einen Baum klettert und "Ich will eine Frau" schreit. Es wird der Einmarsch der Faschisten gezeigt, wie ein riesiger Kreuzfahrtdampfer in der Nacht nah an der Küste vorbeizieht oder einfach auch nur der - visuell beeindruckende - morgendliche Gang zur Schule, wenn sich seltsame Schemen aus der nebelverhangenen Umgebung herausschälen und sich zu einem surrealen Reigen von Schemen und Imagination vermischen. Die Handlung beginnt zum Frühlingsanfang des Jahres und endet ein Jahr später zum gleichen Zeitpunkt. In dieser Zeit bekommt man das Portrait einer Stadt und ihrer Menschen geboten, die sich zwischen den harten Front von Religion und Politik bewegen müssen, die Jugendlichen zudem auch noch innerhalb der strengen Familienzusammengehörigkeit.
Fellini war ein großartiger Filmemacher, der sich allerdings nur selten an die üblichen Konventionen hielt und vor allem Filme machte, die vielseitig gedeutet werden konnten und zumeist eine etwas verwobene Erzählstruktur aufwiesen. Anspruchsvolle Filmliebhaber mögen gerade deswegen seine Filme, dem eher Mainstream-orientierten Zuschauer dürften seine Werke wohl eher sauer aufstoßen. Seine Werke entziehen sich einer oberflächlichen Betrachtung, sie können nur unzureichend beschrieben werden ohne näher ins Detail zu gehen. Fellinis größte Stärke ist es aber, seine Geschichten mit einer unglaublichen visuellen Kraft zu unterstützen. Sie bekommen dadurch zwar einen gewissen Kunstanstrich, als ob es sich um Gemälde handelt die gerade gemalt wurden, aber dies unterstützt die ohnehin schon vorhandene surreale Atmosphäre noch mehr. Da stört es auch nicht, dass eine Szene die auf dem Meer spielt, ganz eindeutig als Studioaufnahme zu erkennen ist, wo das Wasser durch sich bewegende Plastikfolien ersetzt wurde.
Der Film sei daher nur aufgeschlossenen Filmfreunden empfohlen, die immer wieder mal gerne über den Tellerrand blicken und auch vor schwierigen Stoffen nicht zurückschrecken. Wer es lieber konventionell mag, dürfte sich angesichts der Erzählweise, der nur unzureichend linearen Handlung und dem höher gelegten Anspruch, nur sehr schwer mit dem Film anfreunden, ihn wahrscheinlich sogar als langweilig empfinden.
Die DVD von Warner enttäuscht leider zum größten Teil. Immer wieder gibt es Defekte und Flecken vom Originalmaterial zu sehen. Die Schärfe geht über ein gewisses Mittelmaß nicht hinaus und der Kontrast erscheint ebenfalls ein wenig schwach. Lediglich die Farben werden einigermaßen ordentlich wiedergegeben. Bildrauschen sowie eine gewisse Körnigkeit sind ebenfalls vorhanden. Der Monoton bietet wenigstens keinerlei große Störungen oder Einschränkungen. Die Dialoge sind eigentlich stets gut verständlich, in der deutschen Synchronisation wie auch beim italienischen Originalton. An Extras gibt es außer dem englischen Trailer rein gar nichts.
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