(Ein Kurzreview von Carsten Henkelmann)
Jake Gittes ist ein Privatdetektiv, der sich auf Ehebruch- und Scheidungsfälle spezialisiert hat. Eines Tages besucht ihn Ms. Mulwray, Ehefrau von Hollis Mulwray, der Chef der städtischen Wasserwerke von Los Angeles. Sie verdächtigt ihren Mann, ein Verhältnis mit einer anderen Frau zu haben. Jake heftet sich an die Fersen des Mannes, der sich gerade im Stadtrat gegen ein Staudammprojekt einsetzt, da er eine Gefahr für die Bevölkerung darin sieht. Jake folgt ihm und erwischt ihn tatsächlich mit einer anderen Frau.
Als die Affäre in der Öffentlichkeit bekannt wird, bekommt er weiteren Damenbesuch. Die Frau gibt ebenfalls vor, Mulwrays Ehefrau zu sein und verklagt Gittes. Er findet heraus, daß er, genau wie Hollis Mulwray, reingelegt wurde und bietet im Gegenzug den Mulwrays seine Hilfe an. Seine richtige Ehefrau Evelyn geht darauf ein, aber schon am nächsten Tag wird Hollis Mulwray tot aufgefunden. Zuerst wird von Selbstmord wegen der Affäre ausgegangen, aber Jake Gittes glaubt nicht daran. Vor allem weil als Todesursache Ertrinken angegeben wird und gleichzeitig ein Penner in einem Flußbett ertrunken ist, das aufgrund der anhaltenden Dürreperiode nahezu ausgetrocknet ist. Jake findet heraus, daß, vor der Öffentlichkeit versteckt, nachts Wasser, das als Trinkwasser für die Stadt nötig wäre, ins offene Meer geleitet wird und zwar jede Nacht über einen anderen Abfluß. Bei seinen Ermittlungen kommt er zudem noch dahinter, daß Evelyn die Tochter von Noah Cross ist, dem zweiten Besitzer der Wasserwerke und Partner von Hollis Mulwray. Aber das ist noch lange nicht alles. Jake Ermittlungen sind den Hintermännern ein Dorn im Auge und als Denkzettel wird seine Nase schwer mit einem Messer verletzt. Er gerät noch an wütende Farmer und andere Kriminelle und muß sich noch mit seinen früheren Kollegen bei der Polizei rumplagen. Bis er schließlich alle Zusammenhänge erfaßt hat und sie beweisen kann, ist es schon zu spät...
Roman Polanskis kriminelles Meisterwerk ist mit dem ersten Anschauen nicht so einfach zu erfassen. Zu komplex ist die Handlung, die verwobenen Zusammenhänge erschließen sich eigentlich alle erst mit dem zweiten Anschauen. In schönen Bildern und Kulissen wurde das Los Angeles der dreißiger Jahre eingefangen. Zudem sorgen einige gute Kameraideen für eine Krimi-Atmosphäre, die auch Hitchcock nicht besser hätte hinkriegen können. So wird z. B. Hollis Mulwray bei Jakes Ermittlungen im Rückspiegel aus Jakes Auto gezeigt, ganz so als sähe man alles aus Jakes Position. Jack Nicholson spielt den cleveren, aber gleichzeitig auch etwas schmierigen Detektiv Gittes perfekt und gibt ihm eine besondere Note. Angeblich sollen sich Nicholson und Polanksi bei den Dreharbeiten nicht sehr gemocht haben. Als "Strafe" ließ Polanski die Szene, in der er als Gangster Nicholsons Nase demolieren darf, mehrmals wiederholen.
Wer also auf komplexe und atmosphärisch dichte Thriller wie z. B. auch L. A. Confidental steht, der sollte sich unbedingt diesen Film besorgen.
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18.03.2007, 13:22:52 Dietmar Kesten
CHINATOWN
KEIN GROßSTADTREVIER
von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 2.
MÄRZ 2007.
Jack Nicholson bekämpft auf seine Weise Skrupellosigkeit, Korruption und Machtmissbrauch. Aber manchmal gehen Kämpfe auch verloren, bevor sie beginnen. Diese Erfahrung muss der Privatdetektiv J.J. Gittes (Nicholson) machen, der beginnt, in einem feuchten Umfeld zu recherchieren. „Alles nur Wasser, schon wieder Wasser“, kommentiert er.
„Chinatown“ spielt um 1937 und handelt von Wasser, von kriminellen Machenschaften bei der Wasserversorgung von Los Angeles. Der Aufhänger war gut gewählt. Als der Film 1974 startete, war mit der Watergate-Affäre (Offenlegung ab Juni 1972 bis zum Rücktritt Nixons am 9. August 1974) klammheimlich ein ähnlicher Skandal, ein noch viel wichtigerer, der den politischen Sumpf ins Absurde drehte, nach oben gespült worden.
„Chinatwon“ lag somit nicht falsch, wenn er ohne Illusionen die Praktiken der organisierten Kriminalität mit gigantischen Gewinnen und Spekulationen anprangerte. Der Vergleich mit „Watergate“ ist deswegen auch angebracht, weil hier jene Mär ad absurdum geführt wurde, wonach Politiker, auch diejenigen, die in ihrem Umfeld agierten, eine saubere Weste haben und ihre nationalen Pflichten wahrnehmen. Dass dem nicht so ist, zeigt in etwa der Film.
Noch deutlicher tritt aber der irrationale Selbstzweck des Kriminellen hervor, seine Verwandlung in eine Form des politischen Spiels mit unbekanntem Ausmaß. „Misch Dich nicht ein, jeder kämpft gegen jeden, nur wer das weiß, kann überleben, wenn einer fällt, dann stoße nach, entweder wir oder die anderen“: Besser kann die Quintessenz von „Chinatown“ nicht beschrieben werden.
Der Bandenkrieg kommt hier einem Gewaltmonopol gleich, der mit dem Verlust der Perspektive ein stetig neues Betätigungsfeld erspäht. Wer die Spielregeln eigenmächtig verändert, hat mit Konsequenzen zu rechnen; denn diese werden in „Chinatown“, wie auch in jeder anderen Stadt gezogen.
Gittes, der sich nicht abschütteln lässt, hat etwas von Clausewitz. Er begreift den kriminellen Verkehr als mögliche Fortsetzung der Politik; denn Lügen, Schweigen, Heimlichkeiten, Bestechungen und Machtfülle haben überall ihren Platz. Gittes will die Wahrheit ans Licht bringen. Dafür wird ihm die Nase aufgeschlitzt. Gittes will dem mafiösen Gewaltapparat das Wasser abgraben, kann jedoch seinen Siegeszug nicht verhindern.
Gittes will die Skrupellosigkeit beenden, stößt jedoch nur auf eine Mauer des Schweigens. Gittes will Konfliktlösung, erkennt aber, dass der Grundwiderspruch nicht gelöst werden kann, dass die Früchte seiner Ermittlungen regelmäßig verdorren, oder außer Kontrolle geraten. Außer Vernichtung, im schlimmsten Falle Selbstvernichtung, ist hier nichts zu haben.
Fast noch erschreckender als diese Sucht der kriminellen Energie, die in „Chinatown“ ihr Unwesen treibt, ist die Ausweglosigkeiten und die Bedrohungen, die zum inneren Erosionsprozess der Geschichte mutiert. Gittes steht ihm jedoch machtlos gegenüber und verrennt sich in den Fatalismus. Wasser und Feuer, dieser Dualismus wird alsbald zum Anachronismus.
Alle fallen hier irgendwie der Apathie anheim. Selbst Evelyn Mulwray (Faye Dunaway), Gittes Freundin, ist nicht klar zu umreißen. Und spielt eine mysteriöse Rolle. Somit wird auch an dieser Front die Grenze zwischen Aufklärung und Krieg zunehmend verwischt. Stabilität, die es auch hier nicht gibt, geht in einem pessimistischen Finale voller Destruktivität unter. Der berühmte Satz: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, wendet sich spätestens in den Schlussszenen gegen Gittes.