Film Daten

Titel:
Mystic River
Originaltitel:
Mystic River
Land & Jahr:
USA 2003
Regie:
Clint Eastwood
Darsteller:
Sean Penn
Tim Robbins
Kevin Bacon
Laurence Fishburne
Marcia Gay Harden
Laura Linney
Weitere Infos:
IMDB  OFDB

Mystic River

(Ein Kurzreview von Carsten Henkelmann)

Als kleine Jungs haben Jimmy, Dave und Sean viel miteinander unternommen, ihre Wege haben sich aber im Laufe der Zeit voneinander getrennt. Sean Devine (Kevin Bacon) machte Karriere bei der Polizei, Jimmy Markum (Sean Penn) konnte nach einem zweijährigen Knastaufenthalt eine halbwegs normale Existenz mit Familie und einem kleinen Geschäft aufbauen und aus Dave (Tim Robbins) wurde ein normaler Familienvater. Alle drei treffen wieder aufeinander, als Jimmys älteste Tochter Katie (Emmy Rossum) brutal ermordet aufgefunden wird...

Sean Penn und Tim Robbins wurden beide mit dem Oscar für ihre Leistungen in diesem Film belohnt und insgesamt sackte der Film auf unzähligen Filmfestivals zahlreiche Preise ein. Und das zu Recht! "Mystic River" ist wirklich das Glanzstück unter Clint Eastwoods Regiearbeiten. Bereits von der ersten Minute an wird der Zuschauer in eine düstere Welt gezogen und erst nach über zwei Stunden wieder entlassen. Dabei geht es aber nicht nur einfach um die Aufklärung eines Mordfalls, sondern Begriffe wie Familie, Freundschaft und der Zerfall derselbigen sind Thema des Films. Trotz seiner Länge von fast 140 Minuten und seines eher langsamen Tempos bleibt der Film immer hochspannend, abwechslungsreich und bietet durch einige Wendungen in den Ermittlungen immer wieder neue Perspektiven, die zum weiterrätseln animieren. Aber Vorsicht, er kann den Zuschauer auch ganz schön runterziehen, man bleibt noch völlig geplättet während des Abspanns sitzen und muss erstmal verarbeiten was in dem Film alles passiert ist. Dieser Film ist eines der seltenen Beispiele, wo wirklich alles 100%ig zusammenpasst und der zudem über eine Riege von wirklich guten Darstellern verfügt. Der beste Hollywood-Thriller seit "L.A. Confidental"!

Autor: Carsten Henkelmann
Film online seit: 21.06.2004

Leser-Kommentare

17.05.2007, 10:37:56 Dietmar Kesten

MYSTIC RIVER

DIE UNERTRÄGLICHE LEICHTIGKEIT DES SEINS

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 4.

DEZEMBER 2003.

Die Jugendfreundschaft dreier Männer zerbricht an einem Verbrechen. Clint EASTWOOD („Erbarmungslos“, 1992, „Die Brücken am Fluss“, 1995, „Absolut Power“, 1997, „Ein wahres Verbrechen“, 1999, „Space Cowboys““, 2000) hat mit „Mystic River“ einen Film über die Ohnmacht des Individuums gegenüber dem Schicksal gemacht. Als Kinder waren Jimmy (Sean PENN), Sean (Kevin BACON), und Dave (Tim ROBBINS) beste Freunde, bis Dave von Pädophilen entführt und missbraucht wurde. Danach war nichts mehr wie vorher. 30 Jahre später führt ein anderes Verbrechen die drei wieder zusammen. Die Tochter von Jimmy (Katie) wird ermordet aufgefunden, Sean, inzwischen Polizist leitet die Ermittlungen und Dave wird bald der Hauptverdächtigte.

Niemand gibt einem Auskunft darüber, was sich am Grund eines Flusses angesammelt hat, dem Fluss ohne Wiederkehr. Wir gleichen dem alten Mann in einer Sage, der die Namensschilder der abgelaufenen Lebensspulen in seinem weiten Mantel einsammelt und zu einem Fluss trägt. Unzählige Namensschilder werden ständig von der Flut davongetragen oder versinken im Schlamm des Flusses, bis auf wenige, die gerettet werden. Alles was wir sind und tun wird vom Lebensfluss davongetragen: die religiösen und philosophischen Dimensionen, die Begnadigung des Herrschers, die Amnestie nach einem Krieg, die rechtlichen und ethischen Dimensionen, Versprechen, Verbrechen, Treue, Schuld, Sühne, Schulden, Gedächtnispathologien. Das Vergessensmaterial ist unerschöpflich, es ist abgründig ambivalent. Und überall auf der Welt zu beobachten. Erst manches wird mit der Zeit an die Oberfläche gespült. Der Strom als Spiegelbild der gemarterten Seele. Das ist eine nahe beieinanderliegende Metapher. Hier irgendwo vollziehen sich die Dramen der Menschen. Der Grat ist so schmal, dass selbst die schlafwandelnde Lady MACBETH, die allnächtlich durch die Jahrhunderte eilt, vergeblich versucht, sich das Blut von den Händen zu waschen.

SHAKESPEARE jagte die Mörderin mit Furien des schlechten Gewissens bis ans Ende der Geschichte. Die Erinnerung des Dichters lässt sich nicht einschläfern, sie bleibt hellwach wie im ersten Augenblick und für die Lady, die Nacht für Nacht an den Ort der ungesühnten Verbrechen zurückkehrt. Stand am Anfang die Unschuld? Jimmy, Sean und Dave, drei Jungs aus dem Bostoner Hafenviertel werden mit der gemeinsamen Vergangenheit konfrontiert, der sie sich gegenübergestellt sehen. Hierum kreist letztlich der Film. Wen es im Leben erwischt, wann und wo, ist oftmals nicht zu begreifen. Da helfen keine religiösen oder psychologischen Erklärungsansätze. Die erbarmungslose Welt nimmt uns vom Schachbrett, wann immer es ihr gefällt. Dieser Welt wird Sean als Polizist nicht gerecht, und während Dave mit hängendem Kopf und fahrigen Gesten seine Unschuld beteuert, und sich letztlich für einen Mord bekennt, den er nicht zu verantworten hat, wird Jimmy zum seelischen Krüppel, der zwar manchmal zu sehr aufgesetzt den Schmerz über den Tod seiner Tochter herausschreit, aber von unten oder oben betrachtet, das Thema vom Leben und Sterben eindrucksvoll darstellt.

EASTWOOD, der dieses Thema schon mit „Erbarmungslos“ bravourös darzustellen vermochte, zeigt sich auch in „Mystic River“ als Meister seines Faches: alles ist unabänderlich, nichts ändert sich. Und so besteht das Innenleben der drei Männer aus den wiederkehrenden Motiven von Gewalt und Trauer, der Unfähigkeit zur Aussprache. Das Leiden erscheint als Kreislauf. Selbst am Morgen nach der Vergeltung als Jimmy gebrochen an der Schnapsflasche hängt, gelingt es EASTWOOD diese Momente visionär von der Kamera einfangen zu lassen. Ein unfassbarer perfider Moment im abgedunkelten Schlafzimmer, der nur noch von der Schlusssequenz überboten wird: im Sonnenschein zieht eine Parade mit Pauken und Trompeten vorüber, Jimmy und Sean stehen sich auf der jeweils anderen Straßenseite mit ihren Familien gegenüber und blicken sich wissend an.

Fast scheint es so, als ob EASTWOOD zum Philosophen unserer Tage wird: in unserem Gedächtnis werden aus Niederlagen Siege, Missetaten werden zu Wohltaten, Angriffe bleiben Notwehraktionen. Unsere Psyche besteht aus Labyrinthen und Katakomben, in denen Verhüllen, Verdrehen und Verleumden zum alltäglichen Ritual geworden ist. Alles andere wäre eine Lüge. Und man benötigt höchste Willenskraft und Raffinesse, einen geradezu detektivistischen Spürsinn, um gegen die Strategien des Vergessens und des Verdrängens anzukommen. Wir sind voll von falsch überlieferten und auf den Kopf gestellten Erinnerungen: dem Vergessen von Verbrechen, dem Verleugnen von Niederlagen. Nicht nur weil die Erinnerung versagt, sondern weil Aggressionen unser Erbteil sind, und wir nach Kämpfen, nach Leid und Tod in unserer unmittelbaren Umgebung, die unser Hasspotential entleeren, langsam wieder zur alten Blüte heranwachsen, bis wir wieder Kriege, Aggressionen, Unbeherrschtheit und Egomanie brauchen.

Weil der Mensch den Hass, den er kriminell nicht ausleben darf, in einem kollektiven Entleerungsprozess namens Aggression verschütten muss und weil auf sie die Versöhnung folgt, wie der Durchhänger auf den Alkoholrausch. Das Vergessen gehört zum Verbrechen wie das Abwaschen des Blutes zur Mordtat. EASTWOOD, vielleicht ein Meister der Verdrängung, schält diesen radikalen Kern heraus. Jeder ist sich selbst der Nächste. Auf Vergebung kann niemand hoffen. Aber wer lebt damit, wer kann damit leben? Wir würden, wenn wir nicht vergessen würden, unter dem Wust der Erinnerungen ersticken, wenn wir uns an all das Schlimme, was uns angetan wird, und vor allem, was wir anderen angetan haben, erinnern müssten. Das bleibt der blinde Fleck in unserer Erinnerung und der Geschichte.

Wir Menschen sind uns selber blind. Wir halten uns für besser, für schlechter, als wir sind. Für intelligenter als andere, dümmer, jünger oder ärmer. Wir haben kein abgewogenes Urteil über uns. Wir sind eben so hoffnungslos monadologisch konstruiert: so klein von außen, so riesig von innen. Wir sind Opfer im Netz. Die Bosheit der Welt erschlägt uns. Sind wir gut und wahrhaftig? Die drei Jungs aus Boston leben von und mit der Erinnerung. Sie bringen sie irgendwann in einem Punkt zusammen. Die Ereignisse, die sie umgeben, geben auch zu erkennen: wir leben mit Illusionen. Wenn wir jung sind, gleicht die Zukunft einem Füllhorn, das lauter herrliche Geschenke über uns verschüttet, und wenn wir alt sind, liegt milder Sonnenschein auf unserer Kindheit. Da in Wirklichkeit ein Leben aus wenigen paradiesischen Augenblicken besteht, so vielen höllischen Jahren, ist es manchmal trostreich, in der Illusion zu verharren, in der fernen Zukunft oder in einem anderen Leben.

Und immer wieder kommt der Gedanke hoch, dass es möglich ist, diese haarstäubende Realität zwischen Glück und Unglück zugunsten des Glücks zu verbessern. Wir bleiben süchtig. Aber das Leben bietet wenig Stoff. „Mystic River“ ist die Rückwendung des Lebensblicks die Sanduhr hinab, dieser Schlüsseldrehung des Denkens, die dazu führt, dass wir unserer Zukunft den Rücken kehren, verherrlichen, was war, und verteufeln, was kommen mag. Wir sind wie wandelnde Sanduhren. Erst waren die Füße leicht, und der Kopf war voller Ideen, dann werden die Beine schwer und der Kopf wird langsam leer.

Und doch zeigt EASTWOOD auf, das inmitten von Trauer, Zorn, Rachegelüsten, Gewissenkonflikten und Schuldgefühlen, die Sekunden des Augenblicks im Leben zählen. Fürwahr ein grandioser Film mit einer mehr als nachdenklich machenden Botschaft:

„Hätten die Menschen doch im Leben gesiegt, ehe sie im Tod den Sieg davontragen.“ (Cicero)

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